STIFTUNGSPRIVILEG.

Geschriebene Identität

Was macht das Selbstverständnis der ThULB aus, welche historischen Ereignisse haben die Identität der ThULB geprägt und welche Rolle spielt Schriftlichkeit dabei? Mit diesen Fragen im Kopf begann Axel Malik seine Recherche und stieß auf das Stiftungsprivileg der Universität Jena. Die Urkunde faszinierte ihn und insbesondere ein Detail erregte seine Aufmerksamkeit: Der aufwändig verzierte Endbuchstabe in der Unterschrift des Hofsekretärs am rechten unteren Rand der Urkunde. Die Faszination für das Dokument mündete in einer künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Stiftungsprivileg. Das Detail der Unterschrift wurde aus seinem Kontext herausgelöst und als eigenständiges Zeichen zum Element der Wort-Bild-Marke des Projekts erhoben. Die historische Urkunde nahm Axel Malik unter ästhetischen Gesichtspunkten zum Ausgangspunkt einer Übersetzung in seine unlesbaren Zeichen. Das Ergebnis, das sich im Aufbau und Satzspiegel am Stiftungsprivileg der Universität Jena orientiert, ist Hommage und Aktualisierung zugleich. Das Werk steht in direktem Bezug zum historischen Dokument und bildet eine Brücke zur Vergangenheit. Ein Gespräch zwischen Axel Malik und Dr. Joachim Ott, dem Leiter der Abteilung Historische Sammlungen und Fachreferenten für Kunstgeschichte und Musik, geht dieser Verbindung auf den Grund.

Axel Malik: Welchen Wert hat die Urkunde in Bezug auf die Identität der Uni Jena?

Joachim Ott: Die Stiftungsurkunde ist sicher das wichtigste schriftliche Dokument der Universität. Sie ist das Zeugnis der Universitätsgründung und hat damit große Bedeutung für die Identität der FSU und damit auch für die ThULB. Sie war die Voraussetzung für den Aufstieg der Hohen Schule Jena zur Volluniversität im Jahr 1558 und deren rechtsverbindliche und reichsweite Anerkennung. Sie haben ihr Ziel, einen Teil der Identität der Bibliothek in die Kunst der Gegenwart zu übertragen, also völlig erreicht.

Axel Malik: Es freut mich, dass das in der ThULB so aufgenommen wird. Beim Betrachten der Urkunde haben sich mir Fragen zu den beteiligten Personen gestellt, die Sie mir vielleicht beantworten können: Die Urkunde trägt eine Reihe von Unterschriften. Sind das tatsächlich Unterschriften, und wenn ja von wem, oder hat der Schreiber der Urkunde die Namen für die Personen selbst eingefügt? Gibt es eigentlich Informationen zum Schreiber?

Joachim Ott: Sämtliche Unterschriften sind eigenhändige Unterschriften. Die Unterschrift unten links stammt von Ferdinand I. Er lebte von 1503 bis 1564 und war ein Herrscher aus dem Haus Habsburg. Er war Erzherzog von Österreich, König von Böhmen, Kroatien und Ungarn und ab 1558 Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Darunter unterschrieb Jakob von Jonas, der Reichsvizekanzler Ferdinands I. Auf der rechten Seite findet sich schließlich die Unterschrift des amtierenden Hofsekretärs Mark Singkhmoser.

Lassen Sie mich hierzu direkt eine Rückfrage stellen: In Ihrer unlesbaren Urkunde überschreiten die Zeichen der ersten Zeile die Buchstabenanzahl des Herrschernamens. Bei der Unterschrift unten unterschreiten die Zeichen die Buchstabenanzahl. Es geschieht so eine Depersonalisierung des Urkundenausstellers Ferdinand. War das beabsichtigt?

Axel Malik: Um diese Frage zu beantworten, muss ich ein bisschen weiter ausholen, denn sie berührt gewissermaßen den Kern meines künstlerischen Arbeitens. Die Stiftungsurkunde ist für mich in erster Linie ein inhaltlicher Bezugspunkt in meiner Reaktion auf die Bibliothek. Inhalt meint dabei aber nicht den semantischen Inhalt der Urkunde als historisches Dokument oder als Rechtsdokument, sondern als Schriftobjekt, als Ansammlung handschriftlicher Spuren. Alle anderen Aspekte und Ebenen des Stiftungsprivilegs, mit denen sich die wissenschaftliche Forschung in erster Linie beschäftigt, wie die historischen Kontexte, Rolle, Aussage sowie Bedeutung dieser Urkunde habe ich bewusst ausgeblendet. Ich habe auch nicht versucht die Schrift der historischen Urkunde zu entziffern. Aber ich habe sie genau angeschaut und mir vorgestellt, wie die Schreibfeder über den Schreibgrund bewegt wurde und die Schreibbewegungen des damaligen Schreibers diese Zeichen erzeugt haben. Dieses genaue Nachvollziehen, ein körperliches Nachspüren der Bewegung und seiner Bewegtheit, hat mich an einer Stelle der Urkunde, einer kleinen Verzierung am Ende der Unterschrift von Singkhmoser ganz besonders gereizt.

Joachim Ott: Dennoch haben Sie die Unterschrift von Jonas und Singkhmoser nicht übernommen. Verschwinden die Personen also hinter den Zeichen? Was geschieht dann mit dem interaktiven Moment des Dokuments? Bei Rechtsdokumenten gewährt ja jemand etwas und jemand anderes profitiert davon.

Foto: Axel Malik, unlesbare Urkunde, 2023 (CC BY-NC-SA 4.0)
Foto: Ferdinand I., Stiftungsprivileg der Universität Jena, 1547, 64,4 x 77,5 cm. (CC BY-NC-SA 4.0)

Axel Malik: Ich habe mich auf einige formale Gesichtspunkte der Stiftungsurkunde konzentriert, wie beispielsweise eine Seitenlänge und Merkmale des Layouts bzw. des Satzspiegels aufgegriffen, um eine gestalterische Ähnlichkeit, eine Art visuelle Verwandtschaft zwischen der Stiftungsurkunde und meiner Überarbeitung herzustellen. Meine Neufassung sieht also lediglich wie eine Urkunde aus, aber sie bezeugt keinen Rechtsakt. Die Unterschriften habe ich bei meiner Arbeit also nicht als Repräsentanten von Individuen behandelt, sondern, wie auch den Text der Urkunde, als Schriftspuren. Von daher verschwinden die Einzelpersonen in meiner Neufassung tatsächlich hinter den Zeichen. Dennoch empfinde ich ein starkes interaktives Momentum in meiner Überarbeitung. Ein kleiner Teil der Unterschrift von Singkhmoser, der wie eine Nebensächlichkeit erscheinen mag, profitiert davon, dass er plötzlich, nach so vielen Jahren, in den Vordergrund geholt wird. Mit diesem handschriftlichen Bruchteil habe ich mich tagelang beschäftigt. Das, was als Depersonalisierung bezeichnet werden könnte, ist dabei nicht so sehr Absicht, sondern Bedingung und Voraussetzung dafür gewesen, dass ich etwas aus diesem Dokument herauslöse. Diesem herausgelösten Teil wollte ich mit meiner künstlerischen Neufassung und Überarbeitung der Stiftungsurkunde Betonung und Zuwendung geben. Meine Aktualisierung würdigt und legitimiert ihn als eine handschriftliche Spur und als lineare Bewegung einer komplexen Zeichenbildung.

Natürlich habe ich mich während des Überarbeitungsprozesses gefragt, was es mit dieser auffälligen Verzierung am Ende von Singkhmosers Unterschrift auf sich hat. Welche Motivation hat es gehabt? Und wie ist es insgesamt mit der Gestaltung der Urkunde? Folgt sie einem festen Schema oder handelt es sich um einen individuellen Entwurf?

Joachim Ott: In Bezug auf die Urkunde lässt sich sagen, dass sie in ihrer Bedeutung für die Universitätsgeschichte absolut einzigartig ist. Inhaltlich ist sie am Stiftungsprivileg für die Universität Wittenberg orientiert, d.h. sie folgt einem bestimmten inhaltlichen Programm. Natürlich gibt es nur eine begrenzte Anzahl von von herrscherlichen Stiftungsprivilegien für Universitäten dieser Zeit, von daher hat sie sicher einen gewissen Seltenheitscharakter. Doch ihre formale Gestaltung entspricht dem üblichen Format einer Herrscherurkunde des 16. Jahrhunderts. Sie ist großformatig und besteht aus feinem Pergament. Sie wurde wahrscheinlich von einem kalligraphisch ausgebildeten Kanzleischreiber, über den wir leider nichts Konkretes wissen, in sehr aufwendiger und qualitätvoller Weise geschaffen. Die artifiziellen, Partien dienten dabei einerseits dem Ausdruck der Macht und Würde des Herrschers, der das Privileg gewährte, und sollten andererseits Fälschungen erschweren. Gleiches galt für die Unterschriften auf der Urkunde. Auch hier sollten prächtige Schnörkel die Würde des Unterschriftengebers unterstreichen und Fälschungen vermeiden. Schluss- bzw. Binnenverzierungen, wie bei der Unterschrift Singkhmosers, findet man regelmäßig bei den Unterschriften von Kanzlisten, Notaren und anderen Rechtsgelehrten. Natürlich haben die Verzierungen in ihrer Bewegtheit eine ästhetische Dimension. Ihr formaler Zweck war es aber, die Komplexität der Unterschrift zu erhöhen, um sie fälschungssicher zu machen.

Hierzu stellt sich mir noch eine abschließende Frage: Das Element, das Sie aus Singkhmosers Unterschrift isoliert und zum Zeichen des Kunstprojekts an der ThULB gemachte haben, haben Sie in einen Stempel integriert und haben damit Ihre unlesbare Urkunde gestempelt. Der Stempel gleicht einem Siegel. Siegeln Sie die Urkunde mit Ihrem Namen als Zeichen der Zustimmung oder siegeln Sie Ihr eigenes Werk?

Axel Malik: Die Verzierung am Ende der Unterschrift habe ich kopiert und in eine Vektordatei umgewandelt. Diese digitalisierte Form habe ich überarbeitet, geglättet und in der Linienführung betont. Um es demonstrativ in seiner eigenständigen Formsprache verwenden und einsetzen zu können, habe ich es in die Mitte meines Projektstempels gesetzt. Der Schreibbewegung des mittelalterlichen Schreibers stimme ich zu und erkenne sie in ihrer Bewegtheit und Form als Zeichen an. Das Siegel bezeugt also nicht die Zustimmung zum Inhalt der Originalurkunde, den ich gar nicht zu beurteilen vermag, oder zur Übersetzung in die unlesbaren Zeichen. Vielmehr wird der Versuch, eine künstlerische Brücke und freundschaftliche Verbindung zu diesem Schreibakt aus dem 16.Jahrhundert zu knüpfen, besiegelt.